Am Freitag fand die jährliche Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus in Prettiner Schloss statt – dem einstigen Konzentrationslager (KZ) Lichtenburg Prettin. Mit einer sogenannten partizipativen Lesung und einer Kranzniederlegung erinnerten Bürger und Politiker an die Opfer. Zu Beginn begrüßte Kai Langer die Gäste. Er erläuterte auch die Wahl des 27. Januar als Gedenk- und Erinnerungstag. „Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau“, begründet der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt. Deshalb habe 1996 der damalige Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar als Gedenktag festgelegt. „Wir kommen heute hier zusammen, um zu erinnern und zu trauern“, wandte sich Melanie Engler, die Leiterin der Gedenkstätte KZ Lichtenburg Prettin, an das Publikum. Heute wolle sie zusammen mit ihren Gästen an Menschen wie Josefine Schneider erinnern. Diese wurde 1906 in Wien geboren, war Jüdin und Kommunistin. Zum Ende ihres Lebens war sie in der Lichtenburg und im KZ Ravensbrück inhaftiert. „Sie wurde 1942 im Rahmen der Aktion 14f13 in der Tötungsanstalt Bernburg ermordet“, berichtet Melanie Engler. Ob es der tatsächliche Todestag sei, wisse man nicht. „Diese Daten wurden von den Tätern willkürlich festgelegt“, so die Leiterin der Gedenkstätte. Die Opfer waren neben Juden und Kommunisten unter anderem auch Sinti und Roma, Homosexuelle und sogenannte Berufsverbrecher. „Akribisch führten die Täter Akten über die Inhaftierten“, erläutert Melanie Engler. Zu diesen Akten kommen noch erhaltene Briefe sowohl der Täter als auch der Opfer an ihre jeweiligen Angehörigen. Aus Teilen dieser Briefe lasen einige Gäste Ausschnitte vor und ließen die Erinnerung an dieses finstere Kapitel deutscher Geschichte lebendig werden. Josefine Schneider war sich ihres Schicksals offensichtlich bewusst. „Kitty erwartet täglich ihre Abreise“, schrieb sie Anfang des Jahres 1942 an ihren Vater – es sollte ihr letzter Brief sein. Für den Vater war es der codierte Hinweis, dass seine Tochter den baldigen Tod erwartete. Als Gegenstück dienten Briefe von Friedrich Mennecke. Der Mediziner selektierte Gefangene im KZ Ravensbrück zum Zwecke der Ermordung in Bernburg – so auch Josefine Schneider. „Das waren noch nicht mal alle Schicksale, die wir recherchiert hatten“, sagt Lisa Lindenau. Laut der pädagogischen Mitarbeiterin der Gedenkstätte Lichtenburg wurden die Fakten von den Gedenkstätten Bernburg und Lichtenburg gemeinsam recherchiert. Melanie Engler habe daraufhin die Lesung zusammengestellt. „Wir hatten einen Aufruf gestartet, wer lesen möchte“, erinnert sich Lisa Lindenau. Insgesamt 20 Menschen aus der Region hätten sich gemeldet. Zu den Vorlesenden gehörten auch der CDU-Landtagsabgeordnete Siegfried Borgwardt, der Annaburger Bürgermeister Stefan Schmidt (FWG) und der Stiftungsdirektor Kai Langer. Zum Schluss legten die Gäste im ehemaligen Bunker – dem erhaltenen, authentischen Ort des Leidens – Kränze für die vielen Opfer nieder.
(Quelle: MZ Jessen, Seite 9, 30.01.2023)